Dr. Willian Menezes, Chemiker und Project Manager der Arva AG, spricht über das, was die Welt zusammenhält, seine anfängliche Skepsis gegenüber der Arva-Technologie und die Freiheit in Berlin.

Ein Brasilianer macht seinen Doktor in Chemie an der Bremer Uni und arbeitet nun in Berlin für ein Schweizer Unternehmen in der Umwelttechnologie. Können Sie uns aufklären, wie es dazu kam?

Das ist ganz einfach, dauert aber etwas länger [lacht]. Ich bin in Rio geboren und aufgewachsen und habe nach der Schule mein Studium der Chemie in Curitiba aufgenommen, fast 1.000 Kilometer südlich von Rio. Damals war ich 20. Ich hätte auch in Rio einen Studienplatz gehabt, wollte aber eine andere Stadt kennenlernen und unabhängig werden, also von zuhause weg. Kulturell war Curitiba zunächst ein Schock. Ganz das Gegenteil zu Rio. Im Süden Brasiliens sind die Leute weniger aufgeschlossen und es ist viel kälter dort. Also genau andersrum als in Deutschland, wo es heißt, im Norden seien die Leute verschlossener als im Süden, wo es zudem wärmer ist.


Kurze Zwischenfrage: Warum Chemie?

Ich war schon als Kind fasziniert von naturwissenschaftlichen Entdeckungen, zum Beispiel wenn ich im Fernsehen Berichte über neue Technologien gesehen habe. Seitdem wollte ich auch forschen, an neuen Erkenntnissen mitarbeiten und etwas für die Gesellschaft tun. In der Schule mochte ich Chemie erstmal gar nicht, aber irgendwann, zwei Jahre vor dem Schulabschluss hatte ich dann einen tollen Lehrer und wollte plötzlich verstehen, woraus wir und unsere Umwelt bestehen.


Hat das Studium Ihnen die erhofften Antworten gegeben?

Am Anfang der Unizeit war ich erstmal enttäuscht. Ich nahm an, dass es jetzt nur noch um Chemie geht und ich bald im Labor bahnbrechende Entdeckungen machen würde [lacht]. Im ersten Jahr bestand mein Stundenplan zu 80 Prozent aus Mathe und Physik. Das muss man überstehen. Danach dreht sich das Verhältnis um und ich war wirklich begeistert. Von den Experimenten im Labor, von der organischen, anorganischen, physikalischen und analytischen Chemie.


Bitte ein kurzes Plädoyer für Ihr Fach: Warum sollte sich jeder von uns mit Chemie beschäftigen?

Am Ende ist alles, was uns umgibt, Chemie. Alles besteht aus Molekülen und Atomen. Was wir essen, einatmen, die Welt, die uns umgibt. Das Periodensystem der chemischen Elemente ist die Grundlage von allem. Damit befassen sich auch die anderen Naturwissenschaften. Aber die Chemie trägt einen sehr grundlegenden Teil zum Verständnis bei. Wer also wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, dem kann ich die Chemie nur ans Herz legen.


Was hat Sie dann nach Deutschland gebracht?

Nach Bachelor- und Master-Prüfungen in Brasilien wollte ich unbedingt im Ausland Erfahrungen sammeln und danach in der Industrie arbeiten. Die Historie der chemischen Wissenschaften ist sehr geprägt von deutschen Forschern. Und natürlich von den großen deutschen Chemie-Unternehmen wie BASF oder Bayer. Für die Aussicht auf einen Job nach der Promotion schien es mir deshalb sinnvoll hierher zu kommen. Ich habe dann Kontakt mit der Uni Bremen aufgenommen, weil das dortige Institut für angewandte und physikalische Chemie spannende Themen bearbeitet, und habe mich für ein DAAD-Stipendium beworben. Nach der Zusage habe ich dann zunächst in Göttingen am Goethe-Institut einen Deutschkurs absolviert. Vier Jahre später habe ich in Bremen die Promotion abgeschlossen mit einer Arbeit über Nanokatalysatoren für Autos. Ziemlich nah an der industriellen Anwendung also.


Was kam nach der Promotion?

Wie geplant wollte ich möglichst direkt in die Industrie wechseln. Beim Schweizer Chemiekonzern Clariant habe ich dann als Projekt- und Produktmanager die Chance bekommen die wirtschaftliche Seite von angewandter Chemie kennenzulernen. Den kompletten Lebenszyklus eines Produktes haben wir modelliert. Ich hatte im Bereich Bergbau mit Produkten zu tun, die die Herauslösung der Erze aus dem Erdreich verbessert haben.


Als Sie Stellenausschreibung sahen und sich mit dem Unternehmen befasst haben, was hat Sie angesprochen?

Die Aufgabe schien mir sehr vertraut, weil ich auch hier an der Schnittstelle zwischen Forschung und Markt agiere, also unser Verfahren für den Kunden wirtschaftlich attraktiv machen möchte. Gewissermaßen habe ich auch die Seiten gewechselt, von der Förderung der Bodenschätze, die oft mit Umweltbelastungen einhergeht, hin zur grünen Seite, wo Verschmutzungen wieder beseitigt werden. Zudem hat Berlin mich als Stadt und Lebensort schon immer fasziniert, es passte also alles zusammen.


Ihr Eindruck von der ersten Begegnung mit dem Berliner Team?

Die Begegnung mit den Kollegen hat meinen positiven ersten Eindruck bestätigt. Eine sehr persönliche Atmosphäre, viel Know-how und ein extrem spannendes Produkt mit sehr großem Marktpotenzial. Der “grüne” Aspekt war mir genauso wichtig und es hat mich bestätigt, diesen hier im Unternehmen wiederzufinden. Ich hatte mich mit Oxidationsverfahren für Boden- und Wasserreinigung bereits in meiner Masterarbeit beschäftigt und war von Anfang an fasziniert vom Arvox-Verfahren.


Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an dem Oxidationsverfahren, das Arva anbietet?

Wie für die Kollegen, die das Verfahren entwickelt haben, ist es auch für mich faszinierend und unerwartet, die Superoxidationsreaktion, die nahezu alle Kohlenwasserstoffe zersetzt, auf diese Art und Weise zu erzeugen, wie wir es tun. Und das sehr effizient, wie die Labor- und Feldversuche bestätigen, die Abbauraten sind hervorragend. Hinzu kommt, dass wir – anders als bei fast allen anderen chemischen Verfahren – keinerlei schädlichen Nebenprodukte haben. Die verwendeten Komponenten sind günstig, die Anwendung ist sehr flexibel, weil sie zum Beispiel keine hohen Temperaturen oder besondere Bedingungen braucht und sich damit sehr gut für die Anwendung vor Ort eignet, also in situ angewandt werden kann. Zugegeben, am Anfang war ich skeptisch. Nach etwa einem Monat im Unternehmen, viel Fachlektüre und einer intensiven Woche im Labor war ich vollkommen überzeugt, dass das Verfahren wie versprochen funktioniert. Durch das Patent sind wir auch wettbewerblich klar im Vorteil. Wir haben jetzt allerdings noch viel zu tun, um die praktische Anwendung für die verschiedenen Märkte und Kontaminationen im Detail zu perfektionieren und Standards zu entwickeln. Insgesamt sind wir auf einem sehr guten Weg.


Was genau ist Ihr Job? Was tut der “Project Manager Cleaning Technologies”?

Ich bin der Vermittler zwischen wissenschaftlicher Theorie und praktischer Umsetzung. Meine aktuelle Aufgabe ist es, die gegenwärtige Lücke zwischen Labor und Kundenprojekten zu schließen. Dazu gehört die Koordination der Pilotprojekte. Welche Technik benötigen wir für welche Art von Kontamination? Sind die Verunreinigung oberflächlich, tief im Erdreich oder auf einem Bahngleis? Wie können wir die Effizienz des Verfahrens noch steigern? Wir haben viel Erfahrungen gesammelt in unzähligen Laborversuchen mit unterschiedlichen Szenarien, verschiedenen Bodentypen, Kontaminanten, klimatischen und vegetativen Bedingungen. Dazu kommen viele Projekterfahrungen insbesondere in der Ölförderung. Diese Erkenntnisse gilt es jetzt in marktfähige Produkte und Dienstleistungen zu überführen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. Ich sehe sehr gute Chancen für erfolgreiche Sanierungsprojekte.


Zurück zum Anfang unseres Gesprächs: Was ist in Berlin besser als in Rio? Was vermissen Sie?

Berlin bedeutet Freiheit. Das klingt pathetisch, aber so nehme ich es wahr. Die Stadt ist offen und kosmopolitisch und wird immer internationaler. Auch wenn man hierzulande Rio immer mit Lebensfreude und ewigem Karneval verbindet – wenn man dort lebt, ist es sehr viel enger und konformistischer, als man meint. Beruflich sehe ich hier ebenfalls mehr Potenzial als in meiner Heimat. Und das ganz besonders bei einem Unternehmen wie Arva, das das beschriebene Potenzial hat. Insofern ist der Mix hier das beste aus den verschiedenen Welten.

Was ich vermisse? Keine Frage: Das Wetter in Rio, das Meer und den Strand. Und natürlich meine Familie und Freunde. Das macht die Besuche in der Heimat umso intensiver. Und die Rückkehr nach Berlin ebenso, das ich von Rio aus sehr bald genauso vermisse…